Warum sich mit „alten Themen“ beschäftigen? Ist das nicht längst vorbei?

Geschichte wird ständig von uns allen mitgestaltet und bildet die Grundlage dessen, was die Identität oder ein Gefühl für die Heimat / den Wohn- und Lebensort ausmacht. Was heute geschieht ist morgen schon gestern. Dinge wandeln sich ständig. Die Frage ist: Welche bleibenden Werte sollen erhalten und geschützt werden? Was hat Identität stiftend Wert für die Zukunft? Es lohnt sich zu wissen, was den eigenen Ort über die Zeiten hinweg geprägt hat: Was man kennt sieht man anders und geht auch sorgsamer damit um. Nachfolgend einige prägende Momente aus der Geschichte von Bad Pyrmont; die Gesamtschau liegt bei den Chronisten.

Das uns heute bekannte Bad Pyrmont durchlief als Territorium die Stadien von einer ursprünglichen Landschaft, erster Besiedlung, kriegerischen Auseinandersetzungen sowie wechselnden Herrschaftsansprüchen und politischen Systemen. 1184 erscheint erstmalig in einer von 19 Zeugen bestätigten Übertragungsurkunde der Name „Petri Mons“: Widukind II von Schwalenberg verkauft dem Erzbischof von Köln sein Allod Oesdorf für den Bau einer Burg auf dem Schellenberg. Im Bestätigungsschreiben von Papst Lucius wird diese Burg als Castrum Piremont geführt. Für den Ursprung des Namens Pyrmont gibt es weitere Schreibweisen und Deutungen; einige zeigt der Namensbrunnen in der Brunnenstraße 15.

Ein Jahrzehnte dauernder Streit mit der Nachbarstadt Lügde konnte mit dem Hauptvergleich von 1668 beendet werden: Lügde kam an das Fürstbistum Paderborn; an die Grafen von Waldeck gingen die Veste Pyrmont, die Quellen und umliegende Dörfer. Mit ihrer eigenen Geschichte sind sie Jahrhunderte älter als die Neustadt Pyrmont, welche erst 1720 durch fürstliches Edikt zur Akzisestadt erhoben wurde und sich vor allem im 18./19. Jh. zu einem mondänen Kurbad entwickelte. – Nach der Novemberrevolution von 1918 und dem schwindenden Obrigkeitsdenken wurde aus dem Fürstentum Waldeck-Pyrmont ein Freistaat. 1922 schloss sich der Pyrmonter Teil an Preußen an; Waldeck wurde 1929 in die preußische Provinz Hessen-Nassau eingegliedert. Damit war das Fürstentum Waldeck-Pyrmont Geschichte.

Schon vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war Bad Pyrmont Lazarettstadt. Das Schloss wurde Erholungsheim und ab 1944 Tagungsstätte der Flämischen Exilregierung, (Vlaamse Landsleiding). Der Neustart ab 1945 verlief unter britischer Militärregierung.

Die Gebietsreform von 1972-1978 verlief als schrittweise Kreisreform mit der Eingemeindung der umliegenden Dörfer, zum Teil unter deren heftigem Protest. Heute bilden die Ortsteile Hagen, Holzhausen, Löwensen mit Friedensthal, Oesdorf und Thal die Kernstadt Bad Pyrmont, ergänzt durch die Bergdörfer Baarsen, Eichenborn, Großenberg, Kleinenberg und Neersen.

Eine der frühen Beschreibungen der „Bronnen“ (Quellen) bei Lüde (Lügde), ihrer Eigenarten und Heilwirkungen wurde 1556 vom berühmten Mediziner Burchardus Mithobius (1501-1564) verfasst. Diese und andere Schriften, Berichte von Reisenden und Geheilten verbreiteten sich auch ohne Internet und Social Media, sodass es 1556 zum berühmten Pyrmonter Wundergeläuf an die heilsamen Quellen von Pyrmont kam.

Pyrmonts weit bekannt gewordener Ruf als Heilort brachte 1681 an die 34 gekrönte bzw. fürstliche Persönlichkeiten in Lügde und Pyrmont zusammen, was zu etlichen Herausforderungen in Diplomatie, Logis und Versorgung führte. Eine angemessene Infrastruktur für die vielen Badegäste und ihre Ansprüche wurde erst unter Friedrich Anton Ulrich von Waldeck und Pyrmont (1667-1728) planmäßig angeschoben. Als Bauherr der barocken Sommerresidenz Schloss Pyrmont (1706) sowie anderer Schlossbauten erschöpfte er die fürstliche Kasse. Pyrmont mit seinen sprudelnden Quellen wurde 1720 per Edikt zur Akzisestadt erhoben und füllte mit Brunnenabgaben und Akzisen die fürstliche Schatulle. Fürstliche Privilegien lockten solvente Bauherren an, um die als Brunnenstraße festgelegte Verbindung zwischen Oesdorf / Pyrmont und dem Brunnenplatz beidseitig mit angenehmen Logierhäusern zu bebauen. Die Hauptallee von 1668 sowie die Brunnenstraße von 1720 bilden als Kreuzform noch heute die bauliche Grundstruktur im historischen Kern der Innenstadt. – Ein rotes Kreuz auf silbernem Grund wird im Stadtwappen geführt und als Ankerkreuz mit Krönchen vom Nds. Staatsbad Pyrmont verwendet.

Der Zustrom zahlreicher prominenter Badegäste erforderte weitere kurdienliche Einrichtungen und machte Pyrmont vor allem im 18./19. Jahrhundert zum attraktiven Badeort, wo tout le monde sich einfand, um zu kuren, sich abseits vom höfischen Protokoll zu begegnen und zu amüsieren sowie Neues aus aller Welt zu erfahren. Die Liste der prominenten Badegäste ist lang und im Stadtarchiv analog und digital in den Kur- und Schlüsselgeld-Listen nachzulesen. So reiste z.B. Christoph Wilhelm Hufeland (1762-1836), Professor der Medizin und königlicher Leibarzt, mit Königin Luise von Preußen 1806 zur Kur nach Pyrmont; ebenso berühmte Regenten: Zar Peter der Große und Georg I im Jahr 1716 oder Friedrich der Große 1744 und 1746.

Auch der Komponist und Hamburger Director Musices Georg Philipp Telemann (1681-1767) weilte mehrmals zur Kur in Pyrmont und komponierte dort 1734 die sog. „Pyrmonter Kurwoche“ (Scherzi Melodici), eine eigens zu Kur-Zwecken erschaffene Kur-Musik, um die reichlich Brunnen trinkenden Kurgäste auf der Hauptallee zu erheitern. Telemann lobte die Pyrmonter Mineralwässer und ließ sich dies in Flaschen nach Hamburg schicken. Er war auch ein großer Blumenfreund und teilte diese „Bluhmen=Liebe“ mit Georg Friedrich Händel. Der 2006 eingerichtete Telemann Garten im Kurpark ist der Bluhmen=Liebe Telemanns gewidmet.

1774 entwickelten die Badeärzte Dr. Johann E. Trampel und Dr. Heinrich Matthias Marcard eine erste Solewasser-Therapie; 1777 entstand das fürstliche Badelogierhaus am Brunnenplatz, das älteste Kurhotel der Welt. Seit ca. 1700 wurde Pyrmonter Brunnen in Flaschen in viele Länder versandt, (siehe Dauerausstellung im Schloss).

Mit dem ganzheitlichen Konzept von Naturheilmitteln, mäßiger Bewegung an frischer Luft unter Begleitung von angenehmer Musik sowie den vielfältigen Begegnungsmöglichkeiten auf der Hauptallee war das Kurbad Pyrmont der eigentliche Erfinder und Vorreiter einer Kur im ganzheitlichen Sinn für Körper, Seele und Geist.

Zur Expo 2000 wurde das Projekt „Aqua Bad Pyrmont“ umgesetzt. So entstand in Verlängerung der Hauptallee die Untere Hauptallee als Wasserlauf mit den Allegorien auf die vier Lebensalter. 2014 nahm Bad Pyrmont am seriellen Welterbe-Antrag „Great Spas of Europe“ teil.

Seinem Wesenskern nach ist Bad Pyrmont ein Heilort, der im Sinne einer Gründungsurkunde formal kein Anfangsdatum hat und ursprünglich durch seine Quellen und Naturschätze in Erscheinung trat. Das ist die Identität des Ortes und wurde als solche von Menschen aller Stände empfunden, genutzt und dankbar verehrt. Bereits in vorrömischer Zeit muss am heutigen Brunnenplatz ein Quellheiligtum bestanden haben. Darauf deuten Forschungen und eine bei Restaurierungsarbeiten am Brunnenschacht im umgebenden Moor versunkene Linde hin. Namhafte Geomanten wie Marco Pogacnik oder Peter Dawkins haben die besonderen Heilqualitäten des Ortes herausgearbeitet, welche auf dem Geomantischen Spaziergang nachempfunden werden können. Das moderne Reha- und Kurwesen wird durch die 1947 gegründete Niedersächsische Staatsbad Pyrmont Betriebsgesellschaft mbH in Nachfolge der Pyrmont AG ständig weiter entwickelt. Der Dreiklang „Kur-Natur-Kultur“ bleibt Programm und ist Untertitel des weltweit ältesten Kur-Journals (seit 1746).

Vorgenanntes und viele Persönlichkeiten wie z.B. Goethe, Leibniz, Humboldt, Franklin sowie ihre Pendants bis in die Moderne prägten die Identität von Bad Pyrmont, aber auch die vielen namentlich nicht bekannten oder besonders genannten Menschen hinterließen ihre Spuren. Jährlich kommen Hunderttausende Reha-Patienten, Kurgäste und Touristen nach Bad Pyrmont. Was nehmen sie von hier mit? Was erfahren Schulkinder über ihren Heimatort Bad Pyrmont? Was bedeutet Bad Pyrmont seinen Bürgerinnen und Bürgern heute und in Zukunft?

  • In loser Reihenfolge gibt der Heimatbund Bad Pyrmont die sogenannten Geschichtsblätter heraus, die sich mit Schwerpunktthemen aus der Kultur-Geschichte von Bad Pyrmont beschäftigen: 350 Jahre Hauptallee; 300 Jahre ‚Bad‘ Pyrmont; die Zeit um 1945. Diese Schriften, weitere Publikationen und Fachvorträge tragen zum Verständnis der Ortsgeschichte bei, welche eine erstaunliche Fülle aufweist und immer noch zu erstaunlichen Entdeckungen führt. Außerdem unterstützt der Heimatbund Bad Pyrmont ein studentisches Forschungsprojekt des Historischen Seminars Hannover, welches sich um die Aufarbeitung von „Bad Pyrmont als Kurstadt in der NS-Zeit“ bemüht.